Fachkräftemangel und Nachwuchssorgen - Handwerkerverein Viechtach

Counter/Zähler
Direkt zum Seiteninhalt
Das Gehalt macht den Gesellen zum Meister

 
Vorsitzende von Handwerkervereinen warnen: Fachkräftemangel und Nachwuchssorgen zwingen bald viele kleine Betriebe zum Aufhören
Corinna Mühlehner


Das Handwerk in den Genen: (v.l.) Alois Pinzl jun. hat den Kaminkehrerberuf von seinem Vater Alois Pinzl sen. gelernt. Das Handwerk ist bei beiden auch im Alltag ein großes Thema. Wo der Sohn als Vorstand im Handwerkerverein Viechtach tätig ist, hat der Vater die Leitung des Handwerksmuseums der Stadt inne. − F.: Mühlehner


 
"Mein Kind soll es einmal besser haben als ich" – das wünschen sich viele Eltern für ihre Sprösslinge: gut bezahlter Bürojob statt jahrzehntelange, körperlich anspruchsvolle Handwerkerarbeit, damit der Nachwuchs nicht genauso schuften muss wie sie selbst. Die Folge sind immer weniger Lehrlinge im Handwerk. Dabei hat sich die Branche in der Vergangenheit deutlich gewandelt. "Das klassische Bild vom Handwerk gibt es nicht mehr", sagt Alois Pinzl, Vorsitzender des Handwerkervereins Viechtach.
Er arbeitet seit 20 Jahren als selbstständiger Kaminkehrer und habe jedes Jahr Praktikanten, die oft völlig falsche Vorstellungen vom Handwerk hätten. Denn mittlerweile sei die Branche hochtechnisch. "Maschinen und moderne Technologien haben einen großen Teil der körperlichen Arbeit ersetzt."
 
Aber nicht alles kann maschinell erledigt werden. "Handwerker werden immer gebraucht", ist sich der Vereinsvorstand sicher. Ob Maurer, Schreiner oder Metzger, das Handwerk sei im Alltag fest verankert. Nicht zuletzt deshalb beschreibt Pinzl die Branche als eine der krisensichersten. "Wirtschaftseinbrüche haben dem Handwerk bisher wenig anhaben können."
 
Dafür sieht sich das Handwerk anderen Bedrohungen gegenüber. Fachkräftemangel und Nachwuchssorgen dominieren die Branche. Auch in und um Viechtach sei das spürbar, sagt Alois Pinzl. 1435 Betriebe gibt es im Landkreis Regen laut Statistiken aus dem Jahre 2017 der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz. In diesen Betrieben sind insgesamt 5320 Mitarbeiter angestellt.
Auch die Ausbildungsquote kann sich sehen lassen. Mit einem Wert von 31 Prozent hat das Handwerk die höchste Ausbildungsquote aller Branchen. Somit bildet jeder dritte Betrieb aus, 441 Lehrlinge wurden im vergangenen Jahr im Landkreis verzeichnet. "Die Bezeichnung ,Motor der Wirtschaft‘ kommt nicht von irgendwoher", sagt Pinzl.
 
Die Freude über diese guten Zahlen währt bei den Betrieben aber oft nicht lange. Denn trotz der guten Ausbildungsquote kann man Lehrlinge und Fachkräfte meist nicht im Handwerk halten. Eine Fluktuation von 35 Prozent macht deutlich, wie stark die Branche mit der Industrie in Konkurrenz steht, die durch höhere Gehälter und geregelte Arbeitszeiten wichtige Fachkräfte abwirbt.
 
Auch in Viechtach gibt es mit großen Firmen wie Linhardt und Rehau starke Mitbewerber. "Für Viechtach ist es natürlich schön, dass solche Firmen hier ihren Standort haben", findet Stadtrat Alois Pinzl. "Für das Handwerk ist es aber auch ein Problem. Wenn zwei Drittel der Schulabgänger in die Industrie gehen, dann bleiben nicht mehr viele fürs Handwerk."
Dabei wollte auch der 47-Jährige zunächst keinen Handwerksberuf ergreifen, sondern Polizist werden. Weil er dort nach dem Schulabschluss bis zur Volljährigkeit hätte warten müssen, entschied er sich, ein halbes Jahr eine Kaminkehrer-Ausbildung im Betrieb seines Vaters zu absolvieren. Die habe ihm dann so gut gefallen, dass er weitergemacht hat. Heute leitet er seinen eigenen Betrieb mit zwei Mitarbeitern.
Viele Betriebe dieser Größenordnung gebe es in Viechtach aber nicht mehr. "Die sind heutzutage einfach nicht mehr konkurrenzfähig." Denn, um mit den großen Industrien mithalten zu können, müssten kleine Betriebe in teure Maschinen und Personal für deren Bedienung investieren. "Das kann sich ein kleiner Betrieb gar nicht leisten", sagt er.
 
Auch der Vorsitzende des Handwerkervereins Kollnburg, Josef Wolf, weiß um die Probleme in der Branche. "Die Leistung, die man im Handwerk erbringt, wird einem nicht gelohnt", sagt er. Das sei einer der Gründe, warum das Handwerk heute kaum mehr jemanden anspreche und weshalb "90 Prozent der Stellenangebote in der Zeitung fürs Handwerk sind". Der Fachkräftemangel sei dabei in erster Linie durch die geringe Zahl an Lehrlingen bedingt. "Es fehlt hinten und vorne am Nachwuchs", klagt Wolf.
 
Dabei war es bis Mitte der 90er Jahre genau andersherum. "Da hat man kaum Lehrplätze im Handwerk bekommen, weil es so viele Anwärter gab", erinnert sich Alois Pinzl. Weil die Handwerksbetriebe mittlerweile jedoch mit Industrie und Hochschulen um den Nachwuchs ringen, leide die Arbeit. "An Aufträgen hapert’s nicht", sagt Pinzl. "Aber heutzutage muss man als Kunde manchmal lange auf seinen Handwerker warten, weil einfach nicht genug Leute da sind."
 
Alois Pinzl ist sich deshalb sicher: "Die Zukunft steht und fällt mit dem Handwerkerstundenlohn." Deshalb sei es mittlerweile noch wichtiger für Arbeitgeber gut zu zahlen. Seine Gesellen bekommen laut Pinzl zirka 3000 Euro brutto; netto landen rund 2200 Euro am Monatsende auf ihrem Konto. Das sei eigentlich das Gehalt, das Meistergesellen bekommen. "Aber das muss man zahlen, sonst bekommt man gar niemanden mehr." Auch ein 13. Monatsgehalt gibt es. Lehrlinge bekommen im Monat an die 700 Euro netto ausgezahlt, sagt Pinzl.
 
Weil es immer weniger Fachkräfte gibt, werde sich auch der Preis erhöhen, den Kunden stündlich für Arbeiten bezahlen müssen. Darin sieht der Kaminkehrer zwar die Gefahr, dass das Handwerk irgendwann nicht mehr zu bezahlen sei, aber auch die Hoffnung auf bessere Gehälter – und das sei nötig, um gegen die Industrie zu bestehen.
 
"Die Frage ist, ob bis dahin noch genug Fachkräfte verfügbar sind", sagt Pinzl. Denn ohne Arbeiter würden viele Betriebe resignieren, bis es irgendwann nicht mehr genügend gebe.
 
Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, fordert er neben der Anpassung der Gehälter an Industrielöhne auch Bemühungen, das angeschlagene Image der Handwerksberufe wieder zu verbessern. Handelskammern und Innungen würden dazu bereits viel Aufklärungsarbeit an Schulen leisten, damit vor allem das falsche Bild der Eltern geändert wird und auch Lehrer anfangen, ihre Schüler nicht nur auf den akademischen Weg hinzuweisen. "Handwerk impliziert bei jedem schlechtes Wetter und dreckige Finger – die Leute tun oft so, als gäb’s kein Wasser."




Zurück zum Seiteninhalt